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Kunstfreiheit: Satire darf alles – ja oder nein?

Das Spottgedicht von Jan Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten Erdogan oder die Aktion #allesdichtmachen, mit der bekannte Filmschaffende gegen die Corona-Maßnahmen polemisierten – immer wieder nutzen Künstler Satire als Stilmittel, um gesellschaftliche Kritik zu üben. Doch wie weit darf man gehen und wann ist genug?

Lisa Vogt Redakteurin JetztLosleben VGH
von Lisa Berendes18 Oktober, 2021
Standup-Satire-Bühne mit geschlossenen Vorhängen im Scheinwerferlicht
Das Wichtigste in 60 Sekunden

Künstler wie Anil Özseven löten die Grenzen der Kunstfreiheit mit jedem Auftritt neu aus. Das kommt nicht bei jedem gut an. Eigentlich dient Satire dem Aufmerksam machen auf Missstände, wie es z.B. die Intention hinter Böhmermanns Schmähgedicht war. Doch das funktioniert nicht immer. Wird Satire wie bei #allesdichtmachen auf die Spitze getrieben, ist die Frage nach der Zweckdienlichkeit der Aktion keine, die einfach zu beantworten ist. Und doch: Humor ist zwar subjektiv, Opfer indirekt zu verhöhnen jedoch ziemlich sicher geschmacklos. Meinungsfreiheit bleibt es trotzdem.

Anil Özseven testet mit Satire die Grenzen der Kunstfreiheit auf der Bühne aus
Anil Özseven, Standup-Comedian

Sie dürfe alles, schrieb einst der Großmeister deutscher Satire Kurt Tucholsky. Dieser Meinung ist auch Anil Özseven. Der Standup-Comedian aus Hannover lotet in seinen Auftritten gerne die Grenzen des Akzeptablen aus: „Ich spiele oft damit, wie es wäre, etwas zu tun, was man sich im Alltag nicht traut. Zum Beispiel Fremden zu sagen, sie sollen einfach mal die Fresse halten.“ Anil, der auch als Erzieher arbeitet und Theater mit Geflüchteten macht, gibt auf der Bühne oft den aggressiven Kindergärtner mit der Ghettofaust, macht Witze über Flüchtlinge oder über Feminismus. Das kommt nicht bei jedem gut an. „Man fühlt richtig, wenn es dem Publikum unangenehm ist. Manche lachen aber dann doch in sich gekehrt“, erzählt der Hannoveraner. „Es gibt ein gewisses Grundgesetz: Man kann nicht alle zum Lachen bringen“, sagt er. „Damit gehe ich auf die Bühne.“ Auch um zu testen: Was geht noch und was geht zu weit? 

Wer entscheidet, ob das noch Humor ist?

Wie sehr die Meinungen auseinandergehen können, zeigte unter anderem die Kontroverse um Lisa Eckhart, die im September 2020 vom Hamburger Harbour Front Literaturfestival ausgeladen wurde. Kritiker werfen der Österreicherin immer wieder vor, antisemitische Klischees zu bedienen. Vor dem Festival soll es Proteste aus der autonomen Szene gegeben haben und Eckhart wurde angeblich wegen Sicherheitsbedenken ausgeladen. Zwei Autoren hatten zudem nicht mit ihr zusammen auftreten wollen. Der Comedian Dieter Nuhr bezeichnete dies als Skandal. Lisa Eckhart sei keine Antisemitin, sondern präsentiere in ihren Shows eine irritierende und verstörende Kunstfigur. „Das Auftrittsverbot ist eine klare Entscheidung gegen die künstlerische Freiheit“, schrieb Nuhr auf Facebook.

Lisa Eckharts Witze über Juden, Jan Böhmermanns Erdogan-Gedicht oder jüngst die Corona-Aktion #allesdichtmachen – die einen finden es gelungen, die anderen politisch inkorrekt, bedenklich oder sogar gefährlich. Kontroversen auszulösen, gehört bei Satire dazu. Humor ist, genau wie Geschmack oder Feingefühl, eben schwierig zu definieren. Und die Definition unterscheidet sich von Mensch zu Mensch und auch von Kultur zu Kultur. Etwas komisch oder abstoßend zu finden ist eine spontane, emotionale Reaktion. Und doch lohnt sich eine Beschäftigung mit dem Thema, um zu verstehen, was Satire darf, warum sie die Gesellschaft derart spalten kann – und um eine persönliche Haltung zu entwickeln.

Definition Satire: Was fällt eigentlich darunter? 

Im Duden wird Satire als eine Kunstgattung definiert, die mit scharfem Witz an Personen oder Ereignissen Kritik übt. Satirische Mittel sind Übertreibung, Ironie und beißender Spott. „Was Satire nicht darf, ist kein Ideal haben“, schreibt extra 3-Autor Jesko Friedrich auf dem Blog der NDR-Sendung. Sprich: Satire prangert Missstände an und nutzt Humor, Übertreibung und Verfremdung als Stilmittel, um Kritik deutlich zu machen. Es liegt also im Kern der Sache, auch mal die Grenzen des guten Geschmacks zu sprengen. Denn guter Geschmack ist immer der gesellschaftliche Status Quo – und gegen diesen wettert Satire. „Satire, wie ich sie zum Beispiel bei Extra 3 mache, will – nach Möglichkeit unterhaltsam – informieren, aber vor allem eine klare und kritische Meinung äußern und deutlich Stellung zu aktuellen Ereignissen beziehen“, schreibt Jesko Friedrich. Genau deshalb ist Satire in einer Demokratie von der Kunstfreiheit geschützt.

Sie darf also wehtun und auch beleidigen. Und was darf Satire nicht? Diese Frage hat bereits viele Juristen beschäftigt. Der Bundesgerichtshof urteilte einmal: Steht nicht die Auseinandersetzung in der Sache mittels Polemik und überspitzter Kritik im Vordergrund, sondern die Diffamierung und Herabsetzung der Person, handelt es sich um eine Schmähung und nicht um Satire. Mit anderen Worten: Beleidigt man, um auf tatsächliche Probleme oder Ungerechtigkeiten hinzuweisen – oder nur, um zu beleidigen? Das festzustellen ist nicht immer einfach, zumal bei Personen des öffentlichen Lebens aufgrund ihres Amtes deutlich schärfere Kritik zulässig ist als bei Privatpersonen.

Jan Böhmermann präsentiert das Satire-Magazin "Freizeit Magazin Royale"
© ZDF MAGAZIN ROYALE/​Screenshot: JetztLosleben
Jan Böhmermann präsentiert sein neues Satire-Magazin, mit dem er Kritik an der Berufsethik der deutschen Klatschpresse üben möchte. Die Idee: gleiche Aufmachung, zweifelhafte Lifestyle-Tipps und frei erfundene Schlagzeilen über die Profiteure der Branche.

Erdogan-Gedicht: Satire oder Schmähung?

Das Erdogan-Gedicht von Jan Böhmermann macht genau das deutlich. Ginge es in dem Text um einen normalen Bürger, wäre er vermutlich als schlichte Beleidigung eingestuft worden. Bedenkt man jedoch den Kontext – die vorherige Klage Erdogans gegen die Satire-Sendung „extra3“ und Böhmermanns überspitzt in die Länge gezogene Erklärung, er wolle dem türkischen Präsidenten den Unterschied zwischen Satire und Schmähkritik anschaulich machen – wird deutlich, dass es Böhmermann eben nicht um eine bloße Diffamierung der Person Erdogan ging, sondern um eine Kritik mittels satirischer Überzeichnung. „Satire muss wehtun“, schreibt Jesko Friedrich, „aber nicht durch sinnfreie Beleidigungen, sondern durch harte, treffende Kritik.“ Im Kern der Kritik stand hier offensichtlich die Klage Erdogans, der im Übrigen dafür bekannt ist, unter anderem Satiriker wegen ihrer Meinungen ins Gefängnis zu bringen. 

Übrigens: Auch wenn du jemanden mit einer satirischen Aktion angreifst, der nicht ganz so viel politische Macht wie ein Staatschef hat, kann das reichen, um eine Klage zu kassieren. Deshalb solltest du trotz Meinungs- und Kunstfreiheit über die entsprechenden Rechtgrundlagen Bescheid wissen. Ganz besonders, wenn du eine einzelne Person öffentlich an den Pranger stellst oder sie in ihren Augen lächerlich machst, solltest du dich um rechtlichen Beistand kümmern. Denn egal, wie der Fall am Ende für dich ausgeht: Erstmal wird es vermutlich ziemlich teuer. Eine entsprechende Rechtsschutzversicherung schützt dich vor solchen Kosten und gibt dir die Möglichkeit, einen Rechtsstreit auch mit finanzstarken Gegnern auf Augenhöhe zu führen.

RechtsschutzversicherungKunst- und Meinungsfreiheit sollen nicht am Geldbeutel scheitern

Anil Özseven betrachtet das Schmähgedicht als „eine Mega-Aktion“. Auch wenn Böhmermann angekreidet wurde, rassistische Klischees zu bedienen, etwa indem er Erdogan Geschlechtsverkehr mit Ziegen unterstellte. Den Vorwurf kann Anil nicht nachvollziehen. „Wir laufen nun mal alle mit Klischees herum: Die Türken essen nur Döner, die Deutschen nur Bratwurst. Das wird alles zu sehr aufgebauscht“, sagt er. „Es ist Satire, es ist Kunst.“ Und Satire ist, wie jede Art von Humor, eben oft politisch inkorrekt. Das muss nicht jedem gefallen. „Aber wenn du über etwas nicht lachen kannst, heißt es nicht, Satire darf das nicht“, sagt Anil. Er persönlich möge keine Witze über Kindesmissbrauch, will jedoch nicht, dass sie verboten werden. „Wer so etwas sagt, versteht gar nicht, wie viel Kunstfreiheit eigentlich bedeutet.“ Witzig oder gelungen muss man das Schmähgedicht deshalb nicht finden. Dennoch gilt: Wer über Satire urteilt, sollte nicht nur die Stilmittel bewerten, sondern vor allem den Kern der Aussage.                                                 

#allesdichtmachen: Eine Frage des Anstands? 

Jan Josef Liefers im Satire-Video zu #allesdichtmachen
© allesdichtmachen/​Screenshot: JetztLosleben

Und genau deswegen kann Satire auch misslingen. Ein weiterer Fall, der im April 2021 die Gemüter erhitzte: die Aktion #allesdichtmachen. Dabei sprachen sich prominente Filmschaffende in ironischer Form gegen die Corona-Maßnahmen aus. In kurzen Videos riefen sie etwa dazu auf, ab einer bestimmten Inzidenz Kinder zur Adoption freizugeben oder „begrüßten“ Theaterschließungen, da die Kunst eh tot sei. Die Corona-Maßnahmen wurden als Panikmache dargestellt, auch hieß es, die Meinungsfreiheit sei in Gefahr – Meinungen, die meist eher am rechten Rand zu finden sind, weshalb sich einige später von der Aktion distanzierten. Und auch weil die Kritik mitunter heftig ausfiel.

Auch hier kann man sich eben streiten: Wer die Corona-Maßnahmen nicht gutheißt oder ungerecht findet, dass Kultureinrichtungen geschlossen wurden, während im Büro Menschen weiterhin teils ohne Masken in engen Räumen zusammensitzen durften – der wird manche Kritik womöglich treffend finden. Wer das Virus hingegen als ernste Gefahr sieht, die unzählige Menschenleben gefordert hat, wird sich eher darüber ärgern, dass sich Schauspieler als Opfer dargestellt haben – und die Maßnahmen verhöhnten, die eben darauf abzielten, Leben zu retten. Es gibt durchaus noch die dritte Möglichkeit: Man kann die Videos witzig oder gut gemacht finden und die Aussage dahinter dennoch kritisieren. Denn ein Tabu gibt es für die Satire doch noch. Wie Jesko Friedrich formuliert: Satire tritt nicht nach unten. „Das arme Würstchen ist nicht der Feind.“ Schwächere oder Opfer lacht man nicht aus. Deshalb ist es in Ordnung, Machthaber wie Erdogan zu verhöhnen. Die Corona-Maßnahmen als Panikmache zu verlachen, ist jedoch mitunter Hohn an ihren Opfern. Das hat mit Friedrichs Idee von Satire wenig zu tun. Was dennoch nicht heißt, so etwas gehöre verboten. Die Kunstfreiheit ist eben ein hohes Gut – auch wenn nicht alles eine hohe Kunst ist, was darunterfällt.

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