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Mehrgenerationenhäuser: Geht Großfamilie auch modern?

Die einen möchten nicht allein in ihrer Wohnung alt werden, die anderen haben steigende Mieten und den beschleunigten Alltag der städtischen Hektikhochburgen satt: Beide Gruppen – Menschen ab 60 und junge Familien – treffen sich im niedersächsischen Mehrgenerationendorf Hitzacker und erproben, ob man das Prinzip Großfamilie ans 21. Jahrhundert anpassen kann.

Redakteurin Annika Adler
von Annika Adler29 November, 2021
Das Dorf Hitzacker als Beispiel eines Mehrgenerationshauses in größerem Maßstab

Ausmessen von Wohn(t)räumen

Beamen wir uns zu Beginn mal kurz zurück ins Jahr 2016. Wir stehen auf einem Acker mitten in der niedersächsischen Provinz. Es regnet. Wer zwei Kilometer in Richtung Norden spaziert, steht im Ortszentrum von Hitzacker, einem lauschigen Fachwerkstädtchen, 150 Kilometer nordöstlich von Hannover. 5.000 Einwohner, Weinberg mit Panoramablick, Freilichtmuseum, Kneipp-Kur-Gärten, eine Mühle, die Lage an der Einmündung der Jeetzel in die Elbe: Alles malerische und gute Gründe für touristische Besucher, die hier seit über 100 Jahren zu Gast sind. Im Regen, auf dem ungenutzten, matschigen Acker sind jedoch keine Urlauber unterwegs.

Die zwei Dutzend Personen in Funktionskleidung und unter bunten Regenschirmen stecken mit Holzstäben und Maßband einzelne Areale auf dem Acker ab. „Das ist unser Wohnzimmer.“, sagt eine Frau, „Mein Bett wird hier stehen.“, lächelt eine andere. Ein paar Kinder spielen Fangen, ein Hund streunt herum. Platz ist genug auf den 5,5 Hektar, das sind knapp acht Fußballfelder.

Die Menschen stecken hier einen Traum ab: den Traum vom Mehrgenerationendorf, das hier gebaut werden soll. 35 Häuser, 100 Wohnungen für 300 Menschen sollen es werden. Ein Ort der Vielfalt, solidarisch, ökologisch und interkulturell. Wenn das Salz alle ist, der Drucker streikt oder kein Babysitter an Bord ist, will man sich in diesem Dorf gegenseitig helfen.

Google Maps Abbildung der Fläche, auf der das Mehrgenerationendorf Hitzacker entsteht
Die Fläche, auf der das Mehrgenerationendorf Hitzacker entsteht.

Die Szene ist in der NDR-Doku „Wir alle das Dorf“ zu sehen, die die Geschichte des Wohnprojektes für Alt und Jung nachzeichnet. Heute, fünf Jahre später, ist gut ein Drittel des Traums erfüllt. Auf dem Acker stehen zehn fertige Häuser, die bereits bewohnt sind, ein weiteres wird bis Ende des Jahres einzugsreif sein. Alle Häuser sind aus Holz und ohne den CO2-Killer Beton errichtet, in ökologischer, gesunder Bauweise.

Ganz besondere Wohn(t)räume müssen geschützt werden. Feuer, Rohrbruch, Blitz­schlag, Sturm oder Starkregen können selbst das solideste Gebäude zerstören. Im Ernst­fall sind eure vier Wän­de durch die Wohn­ge­bäu­de­ver­si­che­rung der VGH abgesichert. Alles was sich darin befindet, schützt ihr mit einer Hausratsversicherung.

WohngebäudeversicherungSchütze dein Zuhause

Das Dorf als Kindergarten

Knapp 100 Menschen leben bereits in den gradlinigen Holzhäusern mit den großen Fenstern, ein Viertel davon Kinder. Das war zu Beginn des Projektes nicht abzusehen, damals waren 80 Prozent der Mitstreiter 55 Jahre und älter. Der Plan war, dass in das neue Hitzacker Dorf ein Drittel Geflüchtete, ein Drittel junge Familien und ein Drittel ältere Menschen einziehen sollen. Zum Beispiel Käthe Stecker, Pastorin aus Hamburg, und ihre Lebensgefährtin Rita Lassen, eine diplomierte Kauffrau. Beide wollten nicht allein in ihrer Wohnung alt werden, sondern mit anderen zusammen. Beiden war klar, dass sie als lesbisches Paar nicht in irgendein Dorf aufs Land ziehen konnten. Sie wünschten sich ein offenes Umfeld ohne Vorurteile und wurden Mitglied der Genossenschaft Hitzacker Dorf.

Roman Höfers, Journalist aus Hannover, und seine Freundin Isabell Seifert, Heilpädagogin aus Hannover, waren früh als jüngste mit an Bord. Beide sind noch kinderlos, sehen in dem Projekt aber eine tolle Chance, generationsübergreifend traditionelle Familienmodelle aufbrechen zu können. Eine alleinerziehende Genossenschaftlerin erzählt im Film davon, dass ihre jüngste Tochter in Käthe Stecker und Rita Lassen zwei „Paten-Omis“ gefunden habe und die „könne man ja schließlich nicht genug haben.“ Die Idee, die Erziehung der Kinder auf mehrere Schultern zu verteilen, ist nicht neu. Ein nigerianisches Sprichwort lautet: „Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“

Quadratmeter für sechs Euro

Da das genossenschaftlich organisierte Projekt auf Eigenleistung baut – die Genossen und Genossinnen müssen selbst Hand anlegen, werden selbst zu Häuslebauern – können die Genossenschaftsanteile sowie die geplanten Mietkosten mit sechs Euro pro Quadratmeter extrem niedrig gehalten werden. Ein Garant für Vielfalt. Es soll Platz sein für alle Nationalitäten und Generationen, insbesondere auch für Geflüchtete, Alleinerziehende, ältere Menschen oder Menschen mit Handicaps, heißt es in der Visions-Beschreibung auf der Website.

Doch es gab noch einen anderen Impuls für das Projekt: „Die traditionellen Strukturen sind in den letzten 50 Jahren hier im ländlichen Raum zerbröselt. Da haben wir uns mit mehreren Leuten schon gefragt, wie geht es weiter.“, sagt Hauke Stichling-Pehlke, einer der beiden Initiatoren des Mehrgenerationendorfes, in der NDR-Doku. Er habe selbst 30 Jahre auf dem Land gewohnt und erlebt, wie sich die tragfähigen sozialen Netzwerke Stück für Stück aufgelöst haben. Diese neu zu knüpfen, insbesondere auch mit Geflüchteten aus der Region, mit denen Hauke Stichling-Pehlke bereits gearbeitet hat, ist ein weiteres Ziel des Projektes.

Thomas Hagelstein, ein Baubiologe, der optisch als der jüngere Bruder von Mick Jagger durchgehen könnte, ist der Co-Initiator, der zusammen mit Hauke Stichling-Pehlke im Mai 2015 die Idee für das neue Dorf im Dorf hatte. „Für mich ist das Generationendorf ein Testlabor: Wie wollen wir leben? Es soll ein Impulsgeber für den ländlichen Raum in ganz Europa werden.“, beschreibt er seine weitreichende Vision des Projektes.

Gegenwind, Weitsicht und neue Perspektiven

Doch nicht allen gefällt die bunte Truppe, die sich vor der eigenen Haustür ansiedeln will. Anwohner ließen in den ersten Jahren Flugblätter kursieren, auf denen von der Angst vor einem sozialen Brennpunkt zu lesen war. Aus dem angrenzenden Gewerbegebiet gab es ebenfalls Gegenwind. Der luxemburgische Metallgroßkonzern, dessen Hallen an das Hitzacker Dorf grenzen, fürchtete, nicht mehr so lautstark produzieren zu können. Schließlich wollen die neuen Nachbarn in Ruhe schlafen und könnten wegen Störung der Nachtruhe klagen.

Seitens der Genossenschaft machte man Vorschläge zur Lärmreduzierung, doch in Luxemburg stellte man sich taub. Es wurden sogar Angebote ausgeschlagen, sich den Einbau einer leiseren Lüftungsanlage von den Genossen bezahlen zu lassen. Es regnete Klagen. Die Samtgemeinde Hitzacker setzt derweil auf Vermittlung. Jule Wiehler, stellvertretende Bürgermeisterin von Hitzacker, sagte auf dem Richtfest zum dritten Öko-Haus: „Danke, dass ihr die Weitsicht hattet, dass sozialer Wohnungsbau auch in Hitzacker ein wichtiges Thema ist. Und wir kriegen ihn durch euch einfach mal so frei Haus geliefert.“ Sie führte weiter aus, dass die Kommune wohl entgegen aller Prognosen auch Dank eines solch engagierten und perspektivreichen Projektes womöglich doch nicht aussterben werde. Das Zusammenleben scheint jetzt, nach der Fertigstellung des zehnten Wohnhauses, tatsächlich möglich.

Und wie geht’s weiter?

In einem Dorf wird nicht nur gewohnt, sondern auch gearbeitet. Deshalb ist geplant, den so genannten „Dorfplatz“, einen noch freien Teil des Grundstücks, zu bebauen. Eine Pilzfarm soll entstehen, ebenso ein Gesundheitszentrum, das „Haus für das Leben“. Ein Coworking-Space ist ebenfalls geplant, schließlich lassen sich Homeoffice und Landleben mittlerweile recht gut kombinieren.

Eine Produktionshalle zu bauen, in der ökologische Produkte hergestellt werden, ist eine weitere Idee, die sich laut hauseigenem Blog, gerade in der Prüfung befindet. Auch eine Markthalle ist angedacht. Im Exposé für Interessierte ist von der Ansiedlung kleinerer Betriebe in der Dorfstraße die Rede, von einem Hostel, einem Bistro, einer Biobäckerei, eine Kita: „Es wird sich entwickeln.“ Fest steht schon jetzt, dass im Dorf auf Autos verzichtet wird. Die Mobilität soll, wie vieles andere auch, weiterhin gemeinschaftlich organisiert werden.

Lust, dabei zu sein?

Wer Lust hat, mitzumischen im Hitzacker Dorf, muss vor allem diskussionsfreudig sein. Lösungen von der Stange, bei denen man nur noch zugreifen braucht, gibt es hier nicht. Um den Spirit des Projektes zu spüren, ist der monatlich stattfindende Dorfspaziergang sehr gut geeignet, Termine gibt es hier. Wer tiefer einsteigen möchte, kann beim sogenannten Bausamstag selbst mit anpacken. Man bekommt dann einen Paten zur Seite gestellt.

Für den Prozess des Kennenlernens gibt es einen Leitfaden, den die Paten-AG entwickelt hat – und hier spürt man schon die gewisse Ausschuss-Kultur, ohne die Projekte wird diese wohl nicht auskommen. Das Organigramm der Genossenschaft verdeutlicht die allem zugrunde liegende Struktur, zu der unter anderem die Generalversammlung und etwa 30 Arbeitsgruppen (AGs) gehören, zum Beispiel die Baugruppe, die Gartengruppe, die Inter­kulturelle AG, die Paten­schafts­gruppe, die Kochgruppe, die AG Gemeinschaftshaus, die Mobilitäts AG, die AG Stoffkreisläufe und so weiter. Man kann aktives Mitglied der Genossenschaft werden oder als investierendes Mitglied das Vorhaben über Solidareinlagen unterstützen. Wer also Lust hat, sich für die Gemeinschaft zu engagieren, findet hier ein breites Betätigungsfeld. Auch das kann eine prima Perspektive fürs Leben im Alter sein.

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Generationsübergreifende Wohnprojekte in Niedersachsen

Auch wenn Modelle wie das Hitzacker Dorf noch die Ausnahme sind, steigt die Bereitschaft in der Bevölkerung, auch beim Wohnen auf Sharing-Konzepte zu setzen. Viele Familien leben heute fern von den Großeltern, die Zahl der Senioren nimmt zu und der Ein-Personen-Haushalt ist zur häufigsten Wohnform geworden. Alles Gründe, das Modell der Großfamilie, in der man füreinander da ist und alltäglich vieles teilt, mit neuer Sehnsucht aufzuladen. Das Teilen gilt als Megatrend, Umfragen zufolge nutzen 20 % der deutschen bereits Sharing-Angebote, vorwiegend im Bereich Mobilität.

Doch auch bei Haushaltsgeräten können sich immer mehr Menschen vorstellen, diese gemeinschaftlich zu nutzen. Beim generationsübergreifenden Wohnen geht es darum, sich individuell in einer eigenen Wohnung einrichten zu können und doch Teil einer definierten Gemeinschaft zu sein, die auch Räume, Rituale und Gerätschaften teilt.

Verschiedene Generationen greifen sich an den Händen und symbolisieren den Zusammenhalt im Mehrgenerationenhaus
Junge und Ersatz Opa aus dem Mehrgenerationenhaus beim Angeln am See
Junger Mensch in Feld ist Mitbewohner eines Mehrgenerationenhauses
Älteres Ehepaar schiebt Schubkarre und betreibt solidarische Landwirtschaft

Wie genau das aussieht, hangt immer vom jeweiligen Projekt ab. In manchen Mehr-Generationen-Modellen gibt es gemeinsame Mittagstische, gezielt Wohnungen für ältere Menschen, die als Oma- und Opa-Ersatz einspringen können, es gibt gemeinschaftlich genutzte Werkstätten und Säle zum Feiern, die von allen Bewohnern genutzt werden können.

Durch das „Bundesprogramm Mehrgenerationenhaus“ bzw. das „Bundesprogramm Mehrgenerationenhaus: Miteinander – Füreinander“, ist eine Förderung von Mehrgenerationenhäusern von bis zu 40.000 Euro aus Bundesmitteln geregelt, wenn eine kommunale Kofinanzierung von 10.000 Euro erfolgt. Das Land Niedersachsen beteiligt sich mit einer eigenen Förderung der Mehrgenerationenhäuser an dieser Kofinanzierung. Eine Liste gemeinschaftlicher Wohnprojekte in Niedersachsen, viele von ihnen generationsübergreifend, findet sich auf der Website, die vom Niedersachsenbüro „Neues Wohnen im Alter“ und dem Forum Gemeinschaftliches Wohnen betrieben wird. Die 63 gelisteten Wohnprojekte sind bebildert und übersichtlich dargestellt und als erste Orientierung hervorragend geeignet. Man sieht: In Niedersachsen gibt es viele Menschen, die die Großfamilie neu für sich entdecken und interpretieren – nur noch ein bisschen größer als früher.

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