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Risiko Burnout: “Ich dachte es sei ganz normal non-stop erschöpft zu sein.”

Termindruck, Deadlines und ständige Erreichbarkeit – immer mehr Menschen arbeiten bis zur völligen Erschöpfung. Doch nicht nur männliche Manager leiden an dem Burnout-Syndrom: Auch und besonders Frauen und Berufseinsteigende unterliegen einem besonderen Druck, der gar nicht so selten zum Burnout führt. Wir haben mit zwei betroffenen Frauen gesprochen und von ihnen erfahren, welche Faktoren den Erschöpfungszustand begünstigen und was schon vorbeugend helfen kann.

von Lena Gröbe13 September, 2022

Endlich ist das Baby still. Erschöpft sackt Sarah (Name geändert) in ihrem Sessel zusammen. Ihr Kopf brummt und der Magen meldet sich. Hat sie es heute zwischen Windeln wechseln, Bettwäsche waschen und einkaufen eigentlich geschafft, mal was zu essen? Die junge Mutter weiß es nicht mehr. Nun ist ohnehin keine Zeit mehr, denn sie muss los: zur Arbeit. Nachts, wenn das Baby schläft, arbeitet Sarah in einer Bar und schenkt aus. Aber das ist nicht ihr einziger Job. Tagsüber, wenn das Baby bei der Tagesmutter ist, arbeitet sie in einem Geschäft für Brautmode, verkauft und schneidert Kleider für den schönsten Tag im Leben vieler Frauen. Was Sarah zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Kurze Zeit später wird sie weder in dem einen noch in dem anderen Job arbeiten können. Denn sie hat ein Burnout. 

Burnout ist keine Krankheit

Das Burnout-Syndrom beschreibt einen Zustand totaler körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung. Anders als häufig dargestellt, ist ein Burnout keine eigenständige Krankheit im Sinne der internationalen Klassifikationen für Diagnosen (ICD-10), sondern eine Risikosituation für vielfältige Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen und eine Reihe körperlicher Beschwerden. Schuld an dem allgemeinen Erschöpfungszustand ist das Erleben permanenter Belastungs- und Stresssituationen. Das kann ein sehr fordernder Job sein oder aber das Ergebnis einer Doppelbelastung durch Lohnarbeit und private Verpflichtungen, so wie bei Sarah. 

Wenn sie heute, viele Monate und Therapiestunden später, auf ihr Leben damals zurückschaut, sagt Sarah: „Mich hat vor allem eines angetrieben: Ich wollte nicht dem Klischee der jungen ‚Asi-Mutter‘ entsprechen“. Sie wollte nicht vom Job-Center abhängig sein, auf eigenen Beinen stehen und ordentlich Geld verdienen. Und vor allem wollte sie ein gutes Leben für ihren Sohn. So war es insbesondere der Druck, als junge Mutter genügen zu müssen, der Sarah ins Burnout trieb: „Ich wollte allen gerecht werden“, sagt sie. Heute arbeitet die 21-Jährige wieder halbtags im Geschäft für Brautmode. Den Job in der Bar hat sie geschmissen.

Auch die heute 34-jährige Flora (Name geändert) litt unter einer Doppel- und Dreifachbelastung: Sie pflegte neben ihrem Bachelor- und Masterstudium der Kulturwissenschaften zunächst ihren krebskranken Vater und anschließend die an Alzheimer erkrankte Großmutter. Ein toxisches Arbeitsumfeld inklusive Mobbing am Arbeitsplatz setze dem Burnout dann die sprichwörtliche Krone auf. Dass sie sich dauerhaft erschöpft und am Ende ihrer Kräfte fühlte, kam ihr lange nicht komisch vor: „Ich dachte damals, es ist ganz normal non-stop erschöpft zu sein“, sagt Flora heute. In der Zeit vor dem Burnout verlor sie jegliches Gefühl für sich und die Normalität. Das kennt auch Sarah. Nach der Burnout-Diagnose fühlte sie sich leer und wusste nichts mit sich anzufangen. „Wegen des Burnouts musste ich das „Nichts tun“ erst wieder lernen. Das kam mir zunächst unaushaltbar vor“, sagt sie.

Erschöpfungssymptome treten häufig erst spät auf

Die Symptome eines Burnouts sind divers: Viele Betroffene berichten von dauerhafter Müdigkeit, einem starken Gefühl von Überforderung und Überlastung sowie dem Bedürfnis nach absoluter Ruhe. Gleichzeitig können sie häufig nicht abschalten, Schlafstörungen treten regelmäßig auf. Sarah muss auch heute noch Medikamente nehmen, die sie schlafen lassen. Sonst kommt sie einfach nicht zur Ruhe. Flora berichtet davon, dass sie sich irgendwann dauerhaft „vergiftet“ fühlte. Sie konnte das unspezifische Gefühl lange nicht zuordnen, aber heute weiß sie: Das war das erste Stopp-Zeichen ihres Körpers.

Wichtig ist jedoch auch: Die Erschöpfungssymptome treten teilweise erst sehr spät auf. Sowohl Flora als auch Sarah berichten, dass sie sich eigentlich erst so richtig erschöpft gefühlt haben, als sie zur Ruhe gekommen sind. Vorher, im Hustle des Alltags, haben sie eben einfach nur funktioniert. 

Weitere Burnout-Symptome sind kognitiver Natur und fallen manchmal gar nicht groß auf: Fehleranfälligkeit, Konzentrationsschwäche und eine stetig sinkende Belastbarkeit können zum Beispiel Anzeichen für ein nahendes Erschöpfungssyndrom sein. Flora berichtet in diesem Zusammenhang von starken Wortfindungsstörungen. Gerade hier wird deutlich, wie schwierig und langwierig der Diagnoseprozess sein kann. Denn vielen Ärzten fällt es schwer, die teilweise völlig verschiedenen Puzzleteile zu verbinden und die richtige Diagnose zu stellen. 

Burnout bedeutet auf dem Zahnfleisch laufen

Neben psychischen Symptomen klagen viele Betroffene auch über körperliche Probleme. Das können Magen-Darm-Beschwerden, dauerhafte Verspannungen, Schmerzen in den Gelenken oder Schwindelattacken sein. Aufgrund des Stresses vergaß Sarah häufig das Essen und litt in der Folge unter Kraftlosigkeit und Schwindel. Nachdem sie einmal bei der Arbeit zusammengebrochen war und sich den Kopf aufschlug, wurde sie ins Krankenhaus gebracht und an eine Beratungsstelle weitergeleitet. Dort speiste man sie mit einem Krankenschein für eine Woche ab: Sie hätte kein Burnout und müsse sich nur von dem Schreck erholen.

Es ist gar nicht so selten, dass nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch die Ärzte sich damit schwertun, körperliche Beschwerden mit Überarbeitung und einem drohenden Burnout in Verbindung zu bringen. Weil die Symptome so divers sind, ist es wichtig, den Menschen als Ganzes zu betrachten und insbesondere psychischen Belastungen und das Stressniveau im Blick zu haben. So litt Flora zum Beispiel lange an chronisch entzündetem Zahnfleisch. Kein Arzt konnte ihr helfen, teilweise verschlimmerten die Spezialisten die Beschwerden nur. Bis sie eines Tages einen Arzt traf, der das Problem endlich als das erkannte, was es war: eine Folge von jahrelangem, übermäßigen Stress. Flora lief nicht nur sprichwörtlich auf dem Zahnfleisch.

Betroffene suchen sich häufig erst spät Hilfe

Trotz der medialen Aufmerksamkeit, die das Burnout-Syndrom in den letzten Jahren erfahren hat, suchen sich Betroffene häufig erst dann Hilfe, wenn sie das Gefühl haben, die Kontrolle über ihre Situation völlig zu verlieren. Bei Flora waren es vor allem die körperlichen Beschwerden, die sie zwangen, einen Arzt aufzusuchen und um Hilfe zu bitten. Zwar nahm sie ihr Leben als belastend war, doch wollte sie nicht wahrhaben, wie nah sie dem Ende ihrer Kräfte wirklich war. Sehr viele Betroffene haben das Gefühl, einfach nicht aussteigen zu können. Sie haben Angst, andere im Stich zu lassen und Erwartungen nicht zu genügen. Häufig dominieren Scham und das Gefühl großer Unzulänglichkeit. Statt in Kontakt zu kommen und über die Situation zu sprechen, ziehen sich viele Betroffene sozial immer stärker zurück. Flora berichtet davon, alles reduziert zu haben, was auch nur ansatzweise ein bisschen Spaß bringe, um ihr Pensum zu schaffen. „Das ging so weit, dass ich auch meine Gefühle reduzierte. Irgendwann fühlte ich einfach gar nichts mehr“, sagt sie. 

Wie eine Maschine funktionieren, das kennt auch Sarah aus ihrer Zeit vor dem Burnout. In ihrem Leben gab es nichts außer Arbeit und ihren Sohn. Ein Wochenendausflug in die Natur? Mit Freunden ins Kino gehen? Was Schönes kochen und genießen? Fehlanzeige. 

Frauen sind häufiger betroffen als Männer

Das Burnout-Syndrom tritt in unserer modernen Arbeitswelt immer häufiger auf. Fast jeder von uns kennt jemanden, der schonmal selbst betroffen war oder jemanden kennt, der betroffen ist. Eine digitale Arbeitswelt, in der man ständig erreichbar und einsatzbereit sein muss, bewirkt, dass immer mehr Menschen sich ausgebrannt fühlen. Und nicht nur im Job muss geackert werden: Auch die Familie erfordert häufig einiges an Arbeit. Entgegen immer noch vorherrschender Stereotype sind es mehr Frauen, die von Burnout betroffen sind. Laut Robert Koch-Institut (RKI) leiden Frauen mit 5,2 Prozent Anteil an den Erwachsenen in Deutschland häufiger unter dem chronischen Erschöpfungssyndrom als Männer (3,3 Prozent). Wenn wir uns vor Augen führen, dass Frauen immer noch einen größeren Anteil an der Pflege- und Sorgearbeit (sogenannte „Care Arbeit“) übernehmen als Männer und deshalb häufiger einer immensen Doppelbelastung durch Job und Familie ausgesetzt sind, lassen sich die Zahlen des RKI gut erklären. Die Geschichten von Sarah und Flora illustrieren die Umstände, denen insbesondere Frauen häufig ausgesetzt sind: Der Spagat zwischen Kindererziehung und Lohnarbeit oder zwischen der Pflege von Familienmitgliedern und dem eigenen Berufsabschluss, ist eine große Risikosituation für ein Burnout.

Burnout ist keine Managerkrankheit

Auch bei den betroffenen Berufsbildern zeigen sich deutliche Abweichungen zum verbreiteten Stereotyp. Anders als viele denken, sind die meisten Burnout-Patienten nicht unter den Top-Verdienern zu finden. Im Gegenteil: Unter den zehn am häufigsten von Burnout betroffenen Berufsgruppen finden sich viele Tätigkeiten im sozialen Bereich, wie Alten- und Krankenpflege, Sonderpädagogik oder Sozialarbeit, also Jobs, in denen besonders häufig auch zwischenmenschliche Extremsituationen vorkommen. Sehr oft betroffen sind außerdem Führungskräfte im Verkauf und Angestellte im Dialogmarketing, wie zum Beispiel im Callcenter. Letztere leiden häufig besonders unter Zeitdruck und Überwachung.

Berufseinstieg als Risikofaktor

Burnout kann jeden treffen. Auch Berufseinsteigende sind davor nicht gefeit. Denn gerade im ersten Job verstärken sich häufig einige Risiko-Faktoren. Der Leistungsdruck ist besonders hoch, denn jeder will sein Bestes geben und beweisen, was er kann. Ein großer Konkurrenzdruck unter Berufseinsteigenden und befristete Verträge erhöhen das Risiko. 

Wo es in der Ausbildung noch mindestens gute Noten für gute Leistungen gab, ist Lob nun selten – doch an Kritik wird nie gespart. Und noch etwas ist anders: Die unterstützende Peergroup fällt weg und weicht Kollegen, denen man unter anderen Umständen lieber aus dem Weg gegangen wäre. Die Folgen sind neben Überstunden auch oft Frustration und Distanzierung. 

Ein Burnout ist heilbar, doch beansprucht die Genesung nicht selten viele Monate oder gar Jahre. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht jedoch nur für maximal sechs Wochen. Für den Fall einer längeren Krankschreibung oder sogar absoluten Berufsunfähigkeit, lohnt sich der Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung – auch und besonders schon als junger Mensch. Denn: Psychische Erkrankungen und Burnout sind die häufigsten Ursachen für eine Berufsunfähigkeit. 

Die Erwerbsminderungsrente vom Staat ist in der Regel keine ausreichende Absicherung, zudem wird sie nur selten genehmigt. Selbstständige sowie Berufsanfänger erhalten häufig gar keine Leistungen vom Staat. Eine private Berufsunfähigkeitsversicherung wie der VGH-Berufsunfähigkeitsschutz ist demnach die einzige sichere Möglichkeit, das Einkommen abzusichern, wenn der Job wegen Krankheit oder Unfall nicht mehr ausgeübt werden kann.

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Erste Hilfe bei drohendem Burnout

Doch was tun, wenn man bei sich selbst oder bei jemandem im Umfeld, ein nahendes Burnout vermutet? Wichtig ist vor allem: Redet darüber und holt euch Hilfe. Es ist weder eure Schuld, noch müsst ihr da allein durch.

Auch Sarah hat den Einstieg in den Ausstieg vor allem durch Hilfe von außen geschafft. Als sie über die Arbeit jemanden kennenlernte und er mehr Zeit mit ihr verbringen wollte, war sie zunächst total verwirrt: „Ich dachte: Was meint er? Wir sehen uns doch schon bei der Arbeit.“ In einem Gespräch über ihr Arbeitspensum brach sie dann aber ziemlich schnell in Tränen aus und merkte: irgendwas stimmt nicht mehr. Mit seiner Hilfe suchte sie sich einen Therapeuten, der sie sofort drei Monate krankschrieb. Dieser „Zwangsurlaub“, wie sie es nennt, hat gewirkt. Heute geht es ihr besser, sie verbringt weniger Zeit bei der Arbeit und hat angefangen, ganz bewusst Dinge zu machen, die ihr guttun. Einen Tag die Woche hat sie nur für sich, sie meditiert und geht zur Therapie. „Ich versuche da sehr diszipliniert zu sein“, sagt sie.

Ebenfalls wichtig: Lasst euch nicht entmutigen, wenn die ersten Arztbesuche sinnlos erscheinen. Flora erzählt von den absurdesten Tipps, die sie anfangs zu hören bekam: „Einmal wurde mir einfach nur geraten, Podcasts zu hören. Als könnte man damit ein Burnout besiegen“. Auch wenn es mühsam ist: Wechselt den Arzt, wenn es nicht passt. Lasst euch nicht abwimmeln und pocht auf euer Recht, ernstgenommen zu werden. Denn auch wenn viele es heutzutage leider immer noch anders sehen: Psychische Beschwerden sind genauso ernst zu nehmen wie physische. Und zwar nicht erst dann, wenn sie sich körperlich manifestieren.

Heilung braucht Zeit

Wichtig ist auch, sich genug Zeit für die Genesung zu nehmen. Über lange Zeit erlernten, ungesunden und übertriebenen Arbeitseinsatz verändert man nicht über Nacht. Flora leidet noch heute, fast zwei Jahre nach ihrer ersten Diagnose, unter den Folgen des Erschöpfungssyndroms. Sie hat Schlafstörungen, ausgeprägte Migräne und findet nur schwer Erholung. Die Entfremdung von den eigenen Gefühlen dauert an, stets fühlt sie sich überfordert. Außerdem hat die 34-Jährige heute Rheuma und Multiple Sklerose. Zwar kann man den Ursprung von Autoimmunerkrankungen selten genau zurückverfolgen, dennoch spricht einiges dafür, dass sie bei Flora durch das jahrelang hohe Stressniveau ausgelöst wurden. 

"Nehmt euch lieber sehr früh als zu spät raus"

Was ihr hilft? Mal richtig rauskommen. Flora schwört darauf, zu verreisen – und zwar richtig weit weg. Das sei für sie die einzige Möglichkeit, den Kopf endlich mal komplett frei zu kriegen. Mit einer einzigen Reise ist das Burnout-Syndrom natürlich noch nicht besiegt, aber ein Anfang ist getan. Und sie hat noch einen Tipp: „Nehmt euch lieber sehr früh als zu spät raus. Irgendwann wird es unmöglich, das allein zu stoppen“, sagt sie. In vielen Fällen ist auch eine stationäre Therapie sehr hilfreich. Denn genau wie beim Reisen schafft man in der Klinik Distanz zum üblichen Umfeld. 

Was nach Modeerkrankung klingt, ist in Wirklichkeit ein sehr ernstzunehmendes Symptom der Leistungsgesellschaft, unter dem Millionen Menschen leiden. So haben Flora und Sarah auch lange nach ihrer Diagnose noch mit den Folgen des Burnouts zu kämpfen. Ihnen ist es wichtig, für Sichtbarkeit zu sorgen und so Betroffenen rechtzeitig zu helfen.

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