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New Work: „Bei uns gibt es eigentlich keine Regeln“

Im Jahr 2030 werden die Menschen nur noch fünfzehn Stunden in der Woche arbeiten – das prognostizierte der Jahrhundertökonom John Maynard Keyes im Jahr 1930. Hätte man den Briten nach der größten Herausforderung des 21. Jahrhunderts gefragt, er hätte nicht lange gezögert und die Freizeit genannt. Heute – mehr als 90 Jahre später – arbeiten viele von uns zwar immer noch 40 Stunden pro Woche, doch es wird aktiv an New-Work-Modellen gebastelt: Dabei gehen die neuen Arbeitsformen weit über Coworking-Areas, Tischkicker und eine Sofa-Lounge im modernen Büro-Loft hinaus. Wir haben in zwei Unternehmen nachgefragt: Wie macht ihr eure Arbeitswelt fit für übermorgen?

Redakteurin VGH Wiebke Knoche JetztLosleben
von Wiebke Knoche27 April, 2021
bürogebäude mit vielen büros in denen von 9 to 5 gearbeitet wird
Das Wichtigste in 60 Sekunden

New Work fasst die Umgestaltung unserer Arbeitswelt zusammen: Feste Arbeitszeiten und Arbeitsorte verlieren an Bedeutung. Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstorganisation kennzeichnen den Wandel, der erstmals vom New-Work-Pionier Frithjof Bergmann beschrieben wurde. Vor rund 50 Jahren sprach er von einem Jobsystem, das sich stärker an den Wünschen jedes Einzelnen orientieren muss, um uns glücklich zu machen. Das Hannoveraner Startup epap sowie der Berliner Kondomproduzent Einhorn haben sich dieser Vision bereits angenommen. Beide Unternehmen sind seit mehreren Jahren im New-Work-Modus unterwegs und zeigen in der Praxis, wie die Arbeit der Zukunft gestaltet werden kann. 

Immer wieder zeigen Studien, dass die meisten von uns zwar acht Stunden im Büro verbringen, davon im Durchschnitt aber nur knapp drei Stunden wirklich hochkonzentriert arbeiten. Die restliche Zeit geht für Kaffee- und Handypausen, Unterhaltungen mit Kollegen und den ganzen anderen Kram drauf, der in digitalen Zeiten so anfällt. Scheint, als hätten wir ein ordentliches Produktivitätsproblem. Und trotzdem ist der Acht-Stunden-Tag nicht nur in Deutschland seit mehr als 50 Jahren Standard. Dabei sprach der Sozialphilosoph Prof. Dr. Frithjof Bergmann bereits in den 1970er Jahren von New Work, einer Umgestaltung der Arbeitswelt. Seine Vision: Ein Jobsystem, das stärker an den Wünschen und Vorstellungen des Individuums ausgerichtet ist. Schließlich nimmt der Job einen wichtigen Platz in unserem Leben ein.

New Work - was ist das?

New Work-Pionier Bergmann ist inzwischen 90 Jahre alt, seine Theorie von sinnstiftender Arbeit aber ist frischer denn je. Angestoßen durch die Digitalisierung, beschleunigt von der Corona-Pandemie ist der konventionelle „Mein Schreibtisch, mein PC, mein Familienfoto“-Arbeitsplatz längst nicht mehr state of the art.

Doch nicht nur die Art, wie wir arbeiten, sondern auch unser Mindset hat sich verändert: Gerade für junge Berufseinsteiger ist der Job nicht mehr bloß Mittel zum Zweck. Die Arbeit muss zwar die Miete tilgen und den Kühlschrank füllen, vor allem aber soll sie sich sinnvoll anfühlen. Oder, wie Bergmann bereits vor 40 Jahren predigte: Es geht darum Arbeit zu tun, die man wirklich, wirklich will. In seinen Augen ist New Work deshalb eine Kombination aus Selbstverwirklichung, Selbstbestimmung und Selbstversorgung. Doch wie realistisch ist diese Vorstellung in der Praxis?

arbeiten im team ist eine komponente von new work
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junge berufseinsteiger beim flexiblen arbeiten

Zukunft der Arbeit bei einem Start-up aus Hannover

Das Start-up epap aus Hannover, das den Kassenbon mithilfe einer Smartphone-App digitalisiert hat, ist seit der Gründung 2019 im New Work-Modus unterwegs und verfolgt damit ein klares Ziel: „Wir wollen, dass sich jeder im Team wohlfühlt und motiviert ist, die eigenen Aufgaben bestmöglich zu erledigen“, sagt Fabian Gruß, Co-Founder und CEO des jungen Unternehmens.

Flexibles, selbstorganisiertes Arbeiten

Um die Work-Life-Balance zu fördern, versucht epap seinen 12 Mitarbeitern, genannt Fellows, so viel Freiheit wie möglich zu geben. Nine to five mit festem Schreibtisch – das gab es nie. Und das wird es auch nicht geben. „Stattdessen kann jeder selbst entscheiden, wann und wo die Arbeit erledigt wird“, sagt Fabian Gruß. Zudem wird darauf geachtet, dass Überstunden erfasst und ausgeglichen werden. „Wir schätzen, wieviel jeder im Team täglich für unsere Idee leistet und legen großen Wert auf eine gesunde Work-Life-Balance.“

Offene Kommunikationskultur ohne Hierarchien

„Eine große Rolle spielt unsere offene Kommunikationskultur, die auf Vertrauen, Konstruktivität und gegenseitiger Wertschätzung basiert“, sagt Fabian Gruß. Einen klassischen Chef sucht man hier vergebens, ebenso eine gelebte Hierarchieordnung. Lediglich bei Unstimmigkeiten haben die vier Gründer das letzte Wort. Ansonsten ist das Team durch Verantwortungsbereiche strukturiert, in denen jeder selbstorganisiert und selbstverantwortlich arbeiten und Entscheidungen treffen soll. „Wir legen außerdem viel Wert auf Feedback und aktive Mitsprache“, so Gruß. Deshalb gibt es bei epap einmal monatlich eine Teamretrospektive, bei der die Arbeit gemeinsam reflektiert wird.

Büroräume mit Einzel- und Teamarbeitsplätzen

epap hat seine Büroräume in der Venture Villa – ein großes Haus im Herzen Hannovers, in dem auch andere Startups an ihren Ideen arbeiten. Dort gibt es nicht nur Rückzugsmöglichkeiten, um im Team oder alleine zu arbeiten, sondern auch Unterstützung. Denn: In der Venture Villa sitzen Experten aus dem Bereich Web- und Softwaretechnologie, die wertvolle Partner für junge Gründer sind.

Fehlerkultur und individuelle Weiterbildungen

Fabian Gruß ist Mitte zwanzig, seine Mitstreiter sind ähnlich jung. Gemeinsam wollen sie wachsen und lernen. „Schließlich ist niemand perfekt“, so der Gründer. Deshalb haben sie den monatlichen „Learning Day“ ins Leben gerufen. An diesem Tag können sich alle epap-Fellows zu einem Thema ihrer Wahl weiterbilden. Generell könne jeder selbst entscheiden, mit was er sich an diesem Tag beschäftigen möchte. Oft ergebe sich aber bereits im Arbeitsalltag ein Thema, bei dem es Lernbedarf für alle gebe. „Den Learning Day starten wir mit einem gemeinsamen Call, in dem alle erzählen, womit sie sich beschäftigen werden“, erklärt Fabian Gruß. Und auch zum Abschluss schalten sich alle noch einmal zusammen, um kurz über das Gelernte zu berichten und gemeinsam zu reflektieren.

Zusätzlich hat das junge Startup seit Kurzem das Format „Lunch and Learn“ ins Leben gerufen, das alle drei Wochen stattfindet. „Dort stellt immer einer aus dem Team ein neues Konzept oder eine Idee vor, die für alle spannend sein könnte.“ Auf diese Weise haben sich Fabian Gruß und sein Team zum Beispiel dafür entschieden, die Projektmanagement-Methode Scrum einzuführen. 

Regelmäßige Teamevents

Zu guter Letzt ist das Miteinander bei epap ein wichtiger Teil der New-Work-Strategie. „Von Anfang an haben wir uns gefragt, wie wir es schaffen, gerne zusammenzuarbeiten und auf dieser Basis unser Arbeitsumfeld gestaltet“, erinnert sich Gruß. Vor Corona habe man bei epap regelmäßig zusammen gekocht, gegrillt oder freitags gemeinsam gefrühstückt. Doch auch in der aktuellen Situation findet das Team zusammen: „Zum Glück gibt es einige gute Lösungen, wie beispielsweise Online Escape Rooms oder auch Spiele wie Garticphone, die man online gemeinsam spielen kann“, erzählt Fabian Gruß.

New Work Extreme: das Beispiel Einhorn

Markus Wörner von Einhorn
Markus Wörner, Head of Marketing & PR bei Einhorn

Arbeiten, wann immer man Lust hat, transparente Gehälter, so viel Urlaub wie man möchte und noch dazu einen Null-Bock-Tag: Diese Dinge sind bei Einhorn bereits seit mehr als sechs Jahren Realität. Wer die Zukunft der Arbeitswelt in Deutschland sucht, wird bei dem Berliner Startup fündig. „Bei uns gibt es eigentlich keine Regeln“, sagt Markus Wörner, verantwortlich für Marketing und PR. Und was hat das New-Work-Konzept des veganen Kondomproduzenten sonst noch so zu bieten? Wir haben nachgefragt.

Jetzt Losleben: Das Wichtigste zuerst: Was steckt hinter dem Null-Bock-Tag?

Markus Wörner: Bei uns ist es vollkommen okay, anzurufen und zu sagen, dass man einen Kater oder einfach mal keine Lust hat, zu arbeiten. Hat den Hintergrund, dass Ehrlichkeit ein Wert ist, den wir sehr hochhalten. Lieber straight ansagen, dass man zu viel getrunken hat, anstatt Ausreden finden zu müssen.

Jetzt Losleben: Welche Dinge gehören außerdem zum New-Work-Konzept von Einhorn?

Markus Wörner: Bei uns ist alles komplett frei, es gibt eigentlich so gut wie keine Regeln. Jeder kann und darf seinen eigenen Weg finden. Es gibt Leute, die kommen gerne morgens um 7.30 Uhr und gehen um vier nach Hause. Andere kommen erst mittags um zwölf, weil sie vormittags lieber zu Hause arbeiten. Wir haben auch keine klassischen Urlaubstage, jeder kann so viel Urlaub nehmen, wie er möchte. Außerdem haben wir ein demokratisches und transparentes Gehaltssystem. Es gibt keine Geheimnisse und jeder darf mitgestalten.

Jetzt Losleben: Klingt fast zu gut, um wahr zu sein… Wie funktioniert ein System, das seinen Mitarbeitern so viel Freiheit und Selbstbestimmung ermöglicht?

Markus Wörner: Wir haben eine sehr starke Unternehmenskultur mit Werten, die alle Mitarbeiter teilen. Das ist meiner Meinung nach der Schlüssel zu dem ganzen New-Work-Thema. Wenn du dich selbst stark mit deinem Unternehmen identifizierst, dann bist du automatisch mit einer ganz anderen Motivation dabei. Und das ist auch der Unterschied zwischen Job und Beruf. Wenn man nur seinen Job macht, dann sitzt man die Zeit ab und geht nach Hause. Ein Mitarbeiter, der sich nicht mit dem Unternehmen identifiziert, der kostet richtig Kohle, weil er viel weniger macht als er eigentlich könnte.

Jetzt Losleben: Diese Philosophie ist sehr nah dran an der Vision von New-Work-Pionier Frithjof Bergmann, der bereits in den 1970ern predigte, dass wir alle eine Arbeit finden müssen, die uns wirklich erfüllt …

Markus Wörner: Das wäre das Optimum. Dann braucht es auch keine Work-Life-Balance mehr, weil Arbeit und Leben perfekt zusammenpassen. Und genau da wollen wir hin. Am Schluss ist es doch relativ egal, für welche Firma man arbeitet, solange man die Werte des Unternehmens teilt. Dann entsteht die Sinnhaftigkeit von alleine. Ich arbeite auch nicht bei Einhorn, weil ich schon immer was mit Kondomen machen wollte oder Tampons so cool fand, sondern weil ich mich mit der Art wie wir wirtschaften, wie wir zu sozialen Themen stehen und wie wir uns politisch positionieren zu hundert Prozent identifizieren kann. Und deswegen kann ich auch gute Arbeit leisten.

Jetzt Losleben: Das lässt sich aber nicht auf alle Branchen übertragen. Wer am Fließband steht, kann nicht flexibel arbeiten und auch über das Sinnempfinden lässt sich vermutlich streiten.

Markus Wörner: Wenn man New Work nur als flexibles Arbeiten versteht, dann wird es in der Tat schwierig. Aber das ist ja nur eine von vielen Ausprägungen. New Work selbst kristallisiert sich aus Werten wie Selbstorganisation, Selbstbestimmung und Freiheit heraus. Warum soll man das in der Logistik oder am Fließband nicht leben können? Man muss es sicherlich anders ausgestalten, aber auch ein Handwerker kann sich selbst organisieren, ohne, dass es dazu einen Chef braucht, der ihm etwas vorschreibt. Ich glaube, jedes Unternehmen kann durch New Work nur gewinnen. Traut man sich oder lässt man lieber alles wie es ist – diese Frage muss man sich stellen und dann gegebenenfalls auch mit einer niedrigeren Mitarbeiter-Identifikation und einer geringeren Motivation leben.

BerufsunfähigkeitsversicherungDu hast deinen Traumjob gefunden? Top! Aber hast du dich auch abgesichert, für den Fall, dass du deiner Leidenschaft nicht mehr nachgehen kannst?

Jetzt Losleben: Zurück zu Einhorn: Welche Erfahrungen habt ihr mit eurer Art zu arbeiten gemacht?

Markus Wörner: Meine Erfahrungen sind durchweg positiv. New Work ist die Herangehensweise, die am glücklichsten macht, auch wenn sie nicht unbedingt am einfachsten ist. Es klingt alles sehr paradiesisch, es ist aber manchmal auch brutal anstrengend, weil man viel diskutieren muss. Man muss ein starkes Feedback-System etablieren. Weil wir ein komplett demokratisches System ohne Hierarchien haben, gibt es keinen, der einfach entscheidet, wie etwas gemacht wird. Bis man sich einig ist, kann es deshalb lange dauern, dafür wird man am Ende aber mit besseren Ergebnissen belohnt.

Jetzt Losleben: Braucht es nicht hin und wieder jemanden, der ein Machtwort spricht und sagt, wo es lang geht?

Markus Wörner: Wir haben unsere beiden Gründer, die sich Gedanken machen, wie die Strategie des Unternehmens aussieht und wo wir uns hin entwickeln wollen. Das ist auch schön, aber einen Chef braucht man nicht. Das ist ein brutaler Zeitfresser. Es ist sehr viel schlauer, wenn alle im Team denken, unternehmerisch handeln und Verantwortung übernehmen. Führung kristallisiert sich dann sozusagen flexibel heraus, je nach persönlichen Interessen.

Jetzt Losleben: Welche zusätzlichen Skills müssen Berufseinsteiger mitbringen, um in einer modernen Arbeitswelt zu bestehen?

Markus Wörner: Ich glaube man muss schon sehr selbstverantwortlich denken, aber das kann man lernen. Dass es keine Hierarchien gibt, heißt ja nicht, dass man alles alleine bewältigen muss. Aber man muss das Freiheitliche, diese Selbstverantwortung mögen. Man muss diese Kultur leben wollen. Und man muss lernen wollen. Ich glaube, wenn man wissbegierig ist, dann ist das ein großer Vorteil, weil man in einem solchen System auch das große Glück hat, immer wieder neue Dinge ausprobieren zu dürfen.

Jetzt Losleben: Was wünschst du dir für die Arbeitswelt der Zukunft?

Markus Wörner: Ich hoffe, dass wir in Zukunft eine Arbeitswelt gestalten, die von einem positiven Menschenbild ausgeht. Aktuell wird noch sehr viel mit Kontrolle gearbeitet. Das macht sehr viel kaputt. Würden wir den Menschen mehr Vertrauen schenken, würden viele Dinge noch besser laufen.

Fazit: Flexible Arbeitsmodelle als Chance

Dass wir jemals die Mini-Arbeitszeiten erreichen, die Keynes vorhersagte, darf zumindest aktuell noch bezweifelt werden. Die Arbeitswelt der Zukunft lässt ich deshalb wohl eher mit dem Attribut „anders“ anstatt „weniger“ beschreiben. Mehr Flexibilität kann mehr Freiheit bedeuten, lässt in der Regel aber auch die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. Verkraftbar, sofern die Arbeit uns nicht auslaugt, sondern sinnstiftend ist und uns das Gefühl gibt, unserer Berufung nachzugehen. Diese Aufgabe zu lösen, ist das Versprechen von New Work.

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