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DNA-Analyse: Dschingis Khan & ich

Will man Ahnenforschung betreiben und wissen, wer wirklich mit einem verwandt ist, unterhält man sich am besten mit seinen Eltern. Oder fragt seine DNA.

von Philipp Kohlhöfer4 Mai, 2021
Mit DNA-Analyse kann man Ahnenforschung betreiben
Das Wichtigste in 60 Sekunden

Wieviel Neandertaler steckt in mir? Habe ich das Läufer-Gen oder doch eher eine genetische Veranlagung dazu, dick zu werden? Und wo kommen meine Vorfahren eigentlich her? Unser Autor Philipp Kohlhöfer hat seine DNA in die USA, zu einem Biotechnologie-Unternehmen namens 23andMe, geschickt, um genau das herauszufinden.

Die Reise ins Vorgestern beginnt damit, dass mich meine Tochter eklig findet. Wir sitzen am Küchentisch und sie frühstückt, während ich gleichzeitig versuche, ein Plastikröhrchen vollzuspucken. „Du bist so eklig“, sagt sie und natürlich hat sie recht, weil Speichelproduktion unerwartet harte Arbeit ist und man dabei auch komische Geräusche macht, aber ich entgegne, dass das mit dem Ekligsein vielleicht in der Familie liegt und dass ich das herausfinden will – mit modernster Ahnenforschung per DNA-Analyse. Sie meint: „Du hast sie ja nicht alle.“

Ahnenforschung 4.0: Wie viel Neandertaler steckt in mir?

Kann sein, dass meine Tochter damit gar nicht so falsch liegt, denn ich will meine DNA zur Analyse in die USA schicken, zu einem Biotechnologie-Unternehmen namens 23andMe. Der Name bezieht sich auf die 23 Chromosomenpaare eines Menschen und das Unternehmen verkauft Genomauswertungen. Das Ziel: Ich will wissen, wer meine Vorfahren sind. Bin ich wirklich so nordeuropäisch, wie ich aussehe? Und wie viel Neandertaler-Gen steckt eigentlich in mir? Wenn das Ergebnis der DNA-Analyse netter Party-Small-Talk ist, ist mir das auch recht, immerhin hatte ich bereits gelesen, dass die Veranlagung für die Konsistenz von Ohrenschmalz sich ebenfalls irgendwo in der DNA versteckt – genau wie die Erkenntnis, ob ich ein Top-Athlet bin (ich bilde mir ein: Ja) und ob die Reisekrankheit bei mir auftritt (früher, aber schon seit Jahren nicht mehr). Ich hatte allerdings auch gelesen, dass die Genetik darüber bestimmt, ob man dick wird oder nicht und wie diverse Diäten anschlagen, aber das stimmt nicht: Es ist nie so einfach, wie es aussieht, und das gilt für Genetik und DNA-Analyse ganz besonders.

XXS-Teilchen des genetischen Riesenpuzzles

Dutzende, manchmal sogar Hunderte Gene sind schon für einfache Dinge wie Augenfarbe und Größe verantwortlich, bei wirklich unerfreulichen Sachen wie Herzinfarkt und Krebs wird es ungleich komplizierter. Dazu kommt: Viele Menschen tragen Gene in sich, die sie für eine bestimmte Krankheit prädestinieren. Gesund bleiben sie trotzdem. Oder aber die durch Genetik vererbte Blutgruppe beeinflusst den Verlauf einer Infektion, beispielsweise mit Covid-19, zum Besseren bzw. zum Schlechteren (das fand eine Studie der Uni Kiel heraus). Warum das so ist: Keiner weiß es. Und obwohl die für die DNA-Analyse eingesandte Speichelprobe auf rund zweihundert genetisch bedingte Krankheiten und neunundneunzig weitere Veranlagungen untersucht wird, bleibt deren Aussagekraft meist schwammig. Zwar werden 960.000 Abschnitte des menschlichen Erbguts extrahiert, was viel klingt, bei rund sechs Milliarden insgesamt dann aber doch recht übersichtlich ist. „Wie wenn man bei ,Krieg & Frieden‘ in jedem Kapitel ein paar Buchstaben liest und versucht, dadurch den Plot herauszufinden“, schreibt das amerikanische Magazin „Science News“. „It is not the whole story“, sagt auch Alisa Lehman, Senior Product Scientist bei 23andMe in „Mountain View“, „but it is a piece of the story.“

Nahaufnahme Mikroskop bei DNA-Analyse
DNA Analyse bei Zwillingen
Mit der DNA-Analyse feststellen ob man zu übergewicht neigt
Frau macht am PC eine DNA-Analyse

DNA-Analyse-Vorspiel: Erdbeer oder Schokolade?

Dennoch, das Geschäft mit der Gensequenzierung wächst. Der Gesamtmarkt der DANN-Analysen soll in den nächsten Jahren nach Schätzungen der Beratungsfirma Arthur D. Little auf etwa achtzehn Milliarden Dollar wachsen. Allein 23andMe besitzt mittlerweile die größte Gendatenbank der Welt, mehr als drei Millionen Kunden sind dort registriert. Die erst mal Fragen beantworten müssen, können, dürfen, sollen – genau weiß man das nicht, weil man ständig welche präsentiert bekommt. 497 habe ich letztlich geschafft. Darunter Dinge wie:

„Isst du lieber Erdbeer-, Vanille- oder Schokoladeneis?“ (Vanille),

„Stehst du lieber früh auf oder schläfst du gern lange?“ (Ich stehe früh auf),

„Magst du das Bier hopfig im Geschmack?“ (Nein, nicht sehr) und

„Wenn du dich selber einschätzen würdest: „Bist du als Läufer eher ein Sprinter oder ein Marathonläufer?“ (Als Antwortmöglichkeit gab es auch: „Ich kann alles, ich bin wie der Wind“. Ich habe angekreuzt: „Ich finde Laufen generell blöd.“)

Auch die Krankheitsgeschichte in der Familienhistorie war Thema des DNA-Analyse-Vorspiels (war zum Glück nichts Schlimmes dabei), das Heimatdorf meiner Uroma mütterlicherseits (in Hessen), genauso wie das Dorf meines Opas väterlicherseits (auch ein Hesse). Weil ich alles vorbildlich durchgelesen und befolgt habe, hat das fast einen kompletten Tag gedauert. Immerhin, am Ende werde ich gelobt: „Du hast mehr Fragen beantwortet als 71 Prozent der Teilnehmer.“ Auch Fragen über meine persönliche Krankheitsgeschichte habe ich ausgefüllt, obwohl es da glücklicherweise nichts zum Ausfüllen gab, abgesehen von Hausstauballergie. Dabei ist das für mich persönlich ein bisschen egal, denn Gentests zu medizinischen Zwecken dürfen in Deutschland nur von einem Arzt verordnet werden. Das scheint auch sinnvoll zu sein, denn wenn man wirklich erfahren sollte, dass man wahrscheinlich an einer Krankheit wie dem unheilbaren Nervenleiden Chorea Huntington leidet, bei dem fast jeder Träger einer bestimmten Genveränderung erkrankt, muss man mit dem Resultat allein klarkommen. Im deutschen Gendiagnostikgesetz steht daher das Recht auf Nichtwissen im Zweifel über dem Recht auf Wissen. Dann doch lieber wissen, wie viel Neandertaler in mir steckt.

RisikolebensversicherungDer Blick in die Vergangenheit ist ja gut und schön, bringt für die Zukunft meiner Tochter aber nichts, falls mir etwas passieren sollte. Um ihr Sicherheit zu geben, muss ich über andere Dinge nachdenken.

308 Cousins in aller Welt

Knapp vier Wochen dauert es, acht Schritte von „Registrieren“ über „Extrahieren“ und „Genotypisieren“ bis zu „Resultat“, bis ich online das Ergebnis der DNA-Analyse nachsehen kann: Ich habe 315 genetische Übereinstimmungen mit Neandertalern. Das ist ein absoluter Spitzenwert, weiß 23andMe, 95 Prozent mehr als alle anderen User und fast doppelt so viele wie der Durchschnitt. Warum und welcher meiner Vorfahren sich wild gekreuzt hat, bleibt im Dunkeln der Geschichte. Aber ich wusste das schon immer, denke ich, als ich das Ergebnis sehe. Ich erfahre außerdem, dass ich zwar zu 99,8 Prozent Europäer bin, allerdings gar nicht so deutsch bin, wie ich dachte: 60 Prozent. Der Rest in mir ist britisch und irisch (96 Prozent meiner 1039 DNA-Verwandten sind Briten oder Iren), ein paar Schweden gibt es und 0,2 Prozent sind aschkenasische Juden, vermutlich aus Rumänien: „Wahrscheinlich ein Mann in siebter oder achter Großeltern-Generation, der um 1700 geboren wurde.“ Des Weiteren ergab die Ahnenforschung 4.0, dass ich 308 Cousins dritten und vierten Grades habe, darunter sind die meisten Amerikaner (125, davon wiederum die Mehrzahl in Kalifornien, 85), viele Kanadier (45) und ein Chilene. 16 Prozent meiner Verwandten können in ihrem Urin riechen, ob sie frischen Spargel verzehrt haben, 37 Prozent haben garantiert keine Höhenangst und sind vielleicht Fallschirmspringer, während 22 Prozent rote Haare haben und 47 Prozent Kaffee schlechter vertragen als ich. Sehr interessant, aber völlig nutzlos.

So klingt meine DNA

Ebenfalls egal: Ich kann mir meine DNA-Sequenz als Musikstück vorspielen lassen. Meine Erbinformation klingt eher nach Bach statt nach Billie Eilish, was ich ein bisschen enttäuschend finde. Ich suche noch ein bisschen und hoffe, dass ich irgendetwas finde, das mich zum entfernten Großcousin von Barack Obama macht, aber das ist unwahrscheinlich, schließlich liegt der Afrikaner-Anteil in mir bei weniger als 0,2 Prozent. Andererseits: Sind wir nicht alle Afrikaner? Kommt nur darauf an, wie lange man zurückgeht. Angeblich lieben alle Menschen eine grüne offene Graslandschaft mit vereinzelten Bäumen, selbst wenn sie nur gemalt ist, weil das in unserer DNA als Ort unserer evolutionären Herkunft abgespeichert ist. Ich denke: Vielleicht ist meine DNA dafür verantwortlich, dass ich als Kind die Fernsehserie „Shaka Zulu“ super fand?

DNA-Analyse-Fazit: Alles Bullshit-Genetik?

Immerhin: Vermutlich ist Dschingis Khan Teil meiner Familie, auch ein großer Krieger. Dass ich das weiß, liegt allerdings nicht an 23andMe, sondern an der Statistik. Angeblich ist jeder 200. Mann auf der Erde mit dem Mongolen verwandt. „Bullshit-Genetik“ hat Daniela Steinberger, Professorin, Doktorin und Gründerin von bio.logis, einem Zentrum für Humangenetik und genetische Diagnostik in Frankfurt, diese Art der Information in einem Interview mal genannt, da der Nutzen für den Kunden bei „nahezu null“ liege. (Andererseits: Der Nutzen für den Kunden liegt vermutlich höher, denn ich bin ja gar nicht der Kunde. Ich bin der Datensatz. Der Kunde ist die Pharmaindustrie, denn mit dem Verkauf der Informationen verdient 23andMe das Geld.)

Dass das Produkt dennoch boomt, liegt womöglich auch gar nicht an dem Erkenntnisgewinn, sondern an unserer Zeit: Wo ständige Selbstoptimierung dazu führt, dass man mittlerweile sogar den Schlaf überwacht, vermittelt der Blick in die DNA ein Gefühl von Kontrolle. Oder auch nicht.

Denn das Einzige, was ich genau weiß: Bei der Größe meiner Familie muss ich bei meinem nächsten Geburtstag eine größere Halle anmieten.

Deine persönliche DNA-Analyse: So funktioniert’s

Das Biotechnologie-Unternehmen 23andMe ist im Netz über www.23andme.com anzusteuern, das Testkit kann für $ 99 plus Versandkosten angefordert werden. Ähnliche Kits und Services bieten auch tellmeGen (www.tellmegen.com, Testkit ab € 139 inkl. Versandkosten), MyHeritageDNA (www.myheritage.de/dna, Testkit für € 79 plus Versand), Living DNA (www.livingdna.com, Testkit ab € 69 plus Versand) und AncestryDNA (www.ancestry.de, Testkit € 69 plus Versand).

© Matt Forsythe

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